Wenn die Welt des kleinen Autisten schon morgens um 6 Uhr aus den Fugen gerät
Ihr kennt das alle: die kleinen Rituale, die sich täglich abspielen im Leben mit Vierbeinern.
Sie sind wichtig. Für alle.
Das Bernsteinauge beispielsweise sagt immer mindestens eine halbe Stunde vor ihrer Mahlzeit Bescheid, dass ja schon mal die Zutaten aus dem Kühlschrank geholt werden könnten. Ihre innere Uhr sagt die Zeiten geradezu minutengenau an. Das ist wichtig für sie. Immens wichtig. Wahrscheinlich gab es Zeiten in ihrem Leben, in denen das Essen nicht allzu pünktlich serviert wurde.
Noch wichtiger, geradezu elementar wichtig, sind aber die Rituale für Herrn Terrier. Schätzt der kleine Autist es ohnehin schon nicht all zu sehr, wenn irgendetwas anders ist als sonst (neue Möbel, Fremde im Haus, Veränderungen in seinem Garten...), kennt er bei seinen Ritualen kein Pardon.
Seine Welt gerät aus den Fugen, wenn es nur kleinste Abweichungen von dem gibt, was er jetzt gerade erwartet. Und wenn das dann noch frühmorgens passiert, ist das häufig ein ganz schlechter Start in einen blöden Tag für ihn.
Damit kann er nicht umgehen. Das lässt ihn ernsthaft verquer werden.
Und so passierte es auch gestern Morgen.
Ist es für den kleinen Terrorzwerg abends extrem wichtig, dass man ihm seinen Ball (und ihr alle hier wisst, was ihm das Ding bedeutet!) wegnimmt mit den Worten „der Ball muss jetzt schlafen (pardon... ja, das sagen wir) und das gute Stück immer an die exakt gleiche Stelle legt, so ist es für ihn morgens direkt nach dem Aufstehen unerlässlich, dass er die geliebte Gummikugel auch genau dort vorfindet.
Sein erster Gang führt ihn immer, egal wie müde man noch sein mag, an diese eine bestimmte Stelle in unserem Hauswirtschaftsraum, er zeigt kurz an und dann darf er den Ball haben. Oft genug geht er dann mit dem Ding wieder ins Bett. Aber er muss ihn haben.
Nun war es aber vorgestern Abend so, dass die Dinge etwas anders liefen als sonst. Unschön für Bruno, kann aber vorkommen.
Ich weiß nicht genau, warum wir ihm den Ball nicht abgenommen hatten, es war auf jeden Fall so. Im Haus lag das gute Stück auch nicht rum, das wäre uns aufgefallen. Es kam, wie es kommen musste: niemandem fiel auf, dass das abendliche „Schlafritual“ ausgefallen war.
Das Drama nahm am nächsten Morgen seinen Lauf.
Der Terriator forderte wie immer sein Recht ein. Nur leider war der Ball nicht an der Stelle, an der er sein sollte. Es lagen zehn andere da. Aber nicht DER Ball. Dieser eine ganz bestimmte. Der Favorit, seit er ihn geschenkt bekommen hat. Jeglicher Versuch meinerseits, ihm den rosafarbenen anzudienen, schlug fehl. Ich konnte ihm noch so sehr ins Ohr säuseln, dass es bis vor kurzem noch keinen besseren Ball gab als diesen. Es brachte nichts. Herr Terrier brüllte. Und zwar richtig. Und er kriegte sich auch nicht wieder ein.
Bei Kindern würde man „akuten Trotzanfall“ diagnostizieren. Und vor allem nicht drauf eingehen.
Aber daran war hier nicht zu denken. Seine Augen quollen schon hervor. Daran, dass ich noch Tropfen reinkriegen musste, mochte ich gar nicht denken.
Was also macht man? Sich lächerlich, richtig!
Kein Gedanke daran, ob Nachbarn wohl die Polizei rufen könnten, wenn sie Taschenlampenschein im Garten sehen,
kein Gedanke daran, dass meine Bekleidung nicht wirklich den Temperaturen entsprach.
Auf ging´s. Ballsuche morgens um sechs.
Macht man ja gerne.
NICHT!
Und ich habe ihn nicht gefunden. Erst mal ans Handy. Googeln, wann es heute wohl hell wird. Der Terriator wurde hysterisch. Das Vischeltrinchen verstand die Welt nicht mehr.
Es begann aus dem Ruder zu laufen.
Und dann endlich wurden die Lichtverhältnisse so, dass ich ohne Lampe draußen suchen konnte.
Was ich dann sah, ließ MICH allerdings fast einen hysterischen Anfall kriegen: Der Großmeister hatte am Vorabend offensichtlich seinen Ball mit in die „Pipi-Ecke“ genommen. Fallen lassen. Geschäft machen und nicht wieder mit reinnehmen.
Mal abgesehen davon, dass ich ihn dort kaum entdecken kann, weiß der Großmeister des Terrors eigentlich IMMER, dass das Objekt der Begierde dort liegt, wenn er es mal sucht.
Nur war ihm gestern anscheinend eher danach, meinen Kreislauf ein wenig nach oben zu bringen.
Der Gipfel war, dass er mich selbst dahin geführt hat. In aller Seelenruhe seinen Ball aufnahm und ins Haus ging. In seine gemütliche Höhle. Mit dem Ball.
Autistenwelt in Ordnung.
Ich verdreht.
Es lief!